In nur fünf Wochenden erarbeitet das ensemble doppel:punkt jedes Jahr zwei komplette Programme, die jeweils im Frühjahr/Sommer und im Herbst zur Aufführung kommen. Fokussiert auf Schleswig-Holstein, führten Konzerte das Ensemble aber auch inzwischen nach Hamburg und Berlin.
Hier findest du alle vergangenenen und aktuellen Projekte mit ihrer Programmfolge und (wo vorhanden) auch dem einführenden Begleittext, jeweils verfasst von Johannes Rake.
In unserem „kontraste“-Programm nehmen wir unsere Zuhörer*innen mit auf eine Zeitreise durch die vielfältigen Klangwelten Europas.
Kontraste begegnen uns überall im Leben und genauso in der Musik. Harte Gegensätze haben Musik auf allen Ebenen schon immer ausgemacht. Sei es der Kontrast zwischen Stille und Gesang, zwischen Laut und Leise, zwischen Schnell und Langsam, zwischen Vokal und Instrumental. Das Programm „Kontraste“ nimmt in seinen Titel auf, was dem Publikum beim Zuhören begegnet. Überwiegend geistliche Stücke bewegen sich zwischen Polen wie dem Text aus Hiob und dem aus dem Lukas-Evangelium:
„Zum Trauerlied ward mir die Laute, zu lautem Weinen die Schalmei“ – „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich“
Zu ihnen gesellen sich weltliche Stücke wie „Bushes and Briars“ von Vaughan Williams, sowie Instrumentalstücke für Gambe und Cembalo – hierunter die Erstaufführung eines Arrangements einer Sonate für Streicher von Reincken – ein fröhliches Stück in A Dur. Die Gambe bildet hierzu den Kontrast mit einer Trauermusik (dem Tombeau) von Marais. Im großen Kontrast zu früher Musik steht die Messe G Dur von Poulenc, die mit ihrer an Atonalität grenzenden Harmonik doch nie ganz den Rahmen derselben verläßt.
Musik von den Inseln steht im Mittelpunkt dieses Programms. Drei Epochen kommen zur Sprache: Einmal der Übergang zwischen Spätrenaissance und Frühbarock, vertreten von William Byrd und Thomas Tomkins.
Die englische Musik dieser Zeit zeichnet sich durch Vielstimmigkeit und komplexen Kontrapunkt mit ausgefeilter Imitationspraxis aus. Besonders ist außerdem die häufige Verwendung von Querständen, das heißt Noten im Abstand eines Halbtons (z.B. f und fis) erklingen direkt nacheinander – oder sogar gleichzeitig! – in verschiedenen Stimmen. Hierdurch wird die Spannung im Satz extrem erhöht, sodass folgende Harmonien der ZuhörerIn umso mehr Erleichterung verschaffen.
William Byrd gilt als der bedeutendste Komponist des Elisabethanischen Zeitalters (1558-1603). Byrd fällt unter Zeitgenossen durch die Vielgestalt seiner Werke besonders auf; niemand sonst komponierte für so viele Besetzungen, Instrumente, und in so vielen Gattungen und Stilen.[1]
Dies sei exemplarisch an den beiden Motetten „Haec dies“ und „Terra tremuit“ gezeigt. Erstere kommt im späten Renaissancestil: mit kanonischen Einsätzen, ständigen Imitationen und nacheinander eingeführten Themen für jeden neuen Textabschnitt. Sodann folgt ein homophoner Teil im Dreiertakt, doch die Teile im geraden Takt sind allesamt streng kontrapunktisch. In der späteren, gute 15 Jahre später erschienenen Motette „Terra tremuit“ nutzt Byrd zu Beginn die Klangrede des Barocks und verdeutlicht mit homophonen Wechselnoten die bebende Erde, und im folgenden Satz „Resurrexi“ vertont die erste, steigende Phrase des Soprans die Auferstehung Christi.
Byrds Tastenmusik, hier vertreten durch die Variationen über das Lied „O Mistres mine“ besticht durch extrem verwobene Imitationen, oft in den Mittelstimmen, während im Sopran die Melodie des Lieds aus der Shakespeare-Komödie „Twelfe Night, Or what you will“ („Was ihr wollt“) erkennbar bleibt.
O Mistres mine where are you roaming? O stay and hear, your true love’s coming, That can sing both high and low. Trip no further pretty sweeting. Journeys end in lovers’ meeting, Every wise man’s son doth know. | What is love, ’tis not hereafter, Present mirth, hath present laughter: What’s to come, is still unsure. In delay there lies no plenty, Then come kiss me sweet and twenty: Youth’s a stuff will not endure. |
Im Kontrast hierzu hören wir ebenfalls ein Solowerk, diesmal für Gambe und von Byrds etwa 30 Jahre jüngeren Kollegen Tobias Hume, der besonders für die Lyra-Viol-Technik eintrat, also das akkordische, hoch virtuose Spiel auf der Gambe. Ebenso wie in Byrds Tastenmusik finden wir bei ihm Variation und Imitation als Haupt-Charakteristika.
Wie etwa 100 Jahre später sein deutscher Kollege J. S. Bach sollte Thomas Tomkins den Traditionen mehr verhaftet bleiben als modernen Strömungen. Der italienische, monodische Stil begann auch in England im 17. Jh. Fuß zu fassen, doch Tomkins komponierte noch um 1650 so, wie es „bereits ein halbes Jh. zuvor – um 1600 – als eher konservativ erachtet worden war.“[2]
Die fantastische Motette „O God, The Proud“ besticht aber doch durch eine deutliche Rhetorik (die Verbindung von Text und Musik) und ihre betörenden Harmonien. Tomkins war offenbar eine zeitlang Schüler von Byrd; 1622 widmete er das Madrigal „Too much I once lamented“ seinem „[…] ancient, & much reverenced Master, William Byrd“.
Wir machen einen großen Sprung in das frühe 20. Jh. Ralph Vaughan Williams „gilt als Schlüsselfigur der Wiederbelebung britischer Musik im 20. Jahrhundert. [… sein] eigener Kompositionsstil ist wesentlich durch den Gebrauch modaler Skalen geprägt, die er aus dem Volksgut und der Tudor-Musik entlehnte. Seine Harmonik ist spätromantisch-tonal erweitert, gelegentlich bitonal. Bewußt schrieb Vaughan Williams seine Musik nicht für Intellektuelle, sondern für Durchschnittsmenschen. So lehnte er, obwohl er stets für neue musikalische Entwicklungen offen blieb, Dodekaphonie oder dem menschlichen Ohr nicht gefällige Dissonanzen weitgehend ab – dies ein Erbe seines Lehrers Ch. V. Stanford, der es sich von seinen Schülern verbeten hatte, dass diese ‚häßliche‘ Musik schrieben.“[3]
George Frideric Handel (wie ihn die EngländerInnen schreiben) und Johann Sebastian Bach sind zwei der wichtigsten Komponisten des deutschen und englischen Spätbarocks bzw. des Galanten Stils, der historisch zwischen Barock und Klassik angesiedelt ist. Während Händel seit dem Alter von 28 Jahren in London wirkte und dort zu größter Berühmtheit gelangte, blieb der gleich alte Bach zu Lebzeiten weniger bekannt.
Dies lag an dessen Arbeitsplatz, der Kirche, während Händel durch seine Wirkstätte Oper deutlich exponierter war. Auch blieb Bach zeitlebens dem konservativen, gearbeiteten Stil treu, der sich durch hochkomplexe Harmonik und Kontrapunktik auszeichnet, weniger durch die Gesanglichkeit und Natürlichkeit, für die man Händels Musik und die seiner galant komponierenden Zeitgenossen (wie z.B. Georg Philipp Telemann) besonders lobte und die mehr dem Zeitgeist des 18. Jahrhunderts entsprachen. Man erkennt denn auch anhand der Gambensonate Händels und der Motetten Bachs diese Kompositionstechniken sehr gut. Natürlich sind es auch unterschiedlich besetzte Werke; dennoch hören wir, dass unabhängig von der Besetzung die Händel-Sonate mehr durch Kantilenen und mit den Phrasen stark wechselnde Affekte besticht, Bachs Motetten dagegen mehr durch ihren komplexen Kontrapunkt und die strenge, konservative Form.
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[1] OLIVER W. NEIGHBOUR, Art. Byrd, William, WÜRDIGUNG in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., veröffentlicht Juni 2023, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/507759
[2] JOHN IRVING, Art. Tomkins, Thomas (II), WÜRDIGUNG in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., zuerst veröffentlicht 2006, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/507758
[3] JÜRGEN SCHAARWÄCHTER, Art. Vaughan Williams, Ralph, WÜRDIGUNG in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., zuerst veröffentlicht 2006, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/47926
Musik hat schon immer die Kraft gehabt, Trauer oder Unbehagen zu lösen. Besonders im kirchlichen Kontext gaben gesungene Worte den Menschen Kraft, die sie in ihrem Leben anders nicht finden konnten.
Das aktuelle Programm des ensembles doppel:punkt trägt die Handschrift einer unsicheren, unsteten Zeit. Die Texte der vorgetragenen Motetten sind überwiegend demütiger Natur. Die Texte drücken Hoffnung aus auf ein besseres Leben nach dem Tod.
Den Menschen im Barock des 17. und 18. Jahrhunderts war es sicherlich auch nicht immer angenehm auf der Erde. Der Glanz des adligen Lebens der Zeit voller Reichtum und Prunk war nur wenigen vorbehalten. Dem Volk hingegen ging es schlecht: Viele lebten in einfachen und ärmlichen Verhältnissen, Bildung war nur den Privilegierten vorbehalten, Kriege bedrohten Land und Leute. Sie trieben auch die Steuern in die Höhe und das Volk damit ins Elend. Der Glaube an Gott und die geistlichen Texte bot vielen Menschen Zuflucht, schenkte Hoffnung und ließ sie das irdische Leid besser ertragen. Heute stehen wir unter dem Eindruck der Klimakatastrophe, Kriege fordern zu viele Opfer, soziale und wirtschaftliche Folgen prägen unser aller Gegenwart auf unterschiedliche Weise.
In diesem Programm sind also mehr Molltöne zu hören, als in vorigen Programmen. Das einzige Dur-Stück – Selig sind die Toten von Schütz – handelt, wie der Titel sagt, ebenfalls nicht von einem allgemein als besonders angenehm empfundenen Ereignis. Doch durch die „barocke Brille“ betrachtet erscheint der Tod zwar nicht unbedingt als erstrebenswert, aber eben doch als im besten Sinne hinnehmbar.
Allen Molltönen zum Trotz wohnt dieser Musik eine große Zuversicht inne. Man muss nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, um diese Hoffnung zu erleben und einen Moment innezuhalten.